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Schneeberg

Ich hab mir ja vor ein paar Wochen von meinem Papa gewünscht, dass er mit mir auf den Berg geht. Und er sich von mir, dass ich seine Beerdigungsrede schreibe und halte.

Er hat mir heute meinen Wunsch erfüllt und war mit mir auf dem Schneeberg. Vor allem aber hat er mir viele Erinnerungen an seine und meine Kindheit geschenkt. Er hat mir gezeigt, wo er als Sechsjähriger vor Schulbeginn die Kühe hinaufgetrieben und nach Schulschluss wieder ins Tal getrieben hat, damit seine Mama mit den Kindern über die Runden gekommen ist. Wir gehen Wege, die ich zuletzt als Kind gegangen bin. „Vorsicht, hier sind manchmal Kreuzottern“, sagt er, und ich erinnere mich, dass ich einmal beinahe auf eine getreten wäre. Er erzählt, dass die Kreuzottern zwar Eier legen, aber diese in ihren Körpern ausbrüten und die Jungen dann sozusagen aus ihren Körpern schlüpfen. Er weiß auch, dass es ein Wort dafür gibt, das ihm aber nicht einfällt. Ovoviviparie, google ich. Ich erinnere mich, dass ich einmal in ein Erdwespennest gestiegen bin und völlig zerstochen war und am Abend die Wespen aus den Haaren und den Stutzen geklaubt hab. Mit rotkarierten Hemden und in Knickerbockers waren wir ständig auf dem Berg. Im Sommer auch mal 4 Wochen am Stück, während meine Freunde in Bibione waren. Haben mit einer Rückentrage Wasser von der nächsten Hütte geholt, ohne elektrischen Strom gelebt und unsere Initialen in den Baum geritzt.

Bei einem wunderbaren Blick in einen Almgraben sagt er: „Wenn ich hier so steh und da runterschau, dann glaub ich manchmal, ich bin schon tot und das ist das Paradies.“ Und nach einer kurzen Pause: „Und ich seh dieses Paradies jede Woche.“ Jeden Dienstag geht er hier herauf. Und an den meisten anderen Tagen auf einen anderen Berg. In dieser Woche war er viermal auf einem. Bis zum Gipfel geht er nur noch selten, aber bis zur Hütte auf ein Bier immer. Er schwärmt mir vor, wie schön es im Winter ist, wenn er mit den Tourenskiern hier seine Spuren zieht und der Schnee schwer auf den Föhren liegt. Und wie er hier letztens mit dem Fahrrad gestürzt ist. Mein Papa ist vorige Woche 78 geworden.

Bei einer kleinen Felsnische tauscht er das heruntergebrannte Grablicht gegen ein neues aus. „Das ist meine Gedenkstätte für Mama“, sagt er und wir schweigen, bis das Licht brennt.

Schöne Vater-Tochter-Gespräche haben wir, während wir langsam auf den Berg steigen. Übers Leben, die Kinder, die Vergangenheit und die Zukunft.

Und als wir dann bei der Jause sitzen und sich ein Schmetterling auf seine Hand setzt, sagt er: „Da denk ich mir dann, die Mama ist als Schmetterling wiedergeboren und ist jetzt bei mir.“

Danke Papa, für den wunderschönen Tag. Die vielen Erinnerungen. Und die Eierschwammerl.

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