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Irgendwann ist heute

Ich neige ja zum Prokrastinieren. Und zwar schon länger als ich dieses Wort überhaupt kenne. Für alles Lustvolle ist „heute“ mein Lieblingswort, für alles Anstrengende „morgen“. Oder „irgendwann“, das ist noch besser, weil man sich damit nicht festlegt. Irgendwann sollte ich die Vorhänge waschen. Irgendwann sollte mein Mann den Dachziegel austauschen. Oder die Sesselleisten montieren. Irgendwann fällt einem gar nicht mehr auf, dass da keine Sesselleisten sind. „Irgendwann fahr ich mit dem Rad in die Arbeit“, sage ich seit Jahren. Nun liegt ja mein Büro nicht um die Ecke, sondern ist 27 Kilometer entfernt. Wenn man vorwiegend Radwege benutzt, dann 31,5. Und wer glaubt, dass das Weinviertel flach ist, der ist herzlich eingeladen, nicht nur zum Kaffeetrinken und selbst gebackenes Brot mit Dirndlmarmelade essen, sondern zum Radfahren. Ohne E- davor, wohlgemerkt. Auf jeden Fall war heute Irgendwann. Vermutlich, weil das, was vor einiger Zeit vorwiegend anstrengend gewesen wäre, plötzlich auch sehr lustvoll geworden ist. Weil mein Körper so trainiert ist wie er vielleicht mit Anfang zwanzig war, als ich Klettern, Paragleiten und Windsurfen war. Ich bin sehr früh aufgestanden. „Ich fahr heut mit dem Rad in die Arbeit“, sage ich zum Mann. „Bist deppert?“, sagt der, „das ist ja weit.“ „Eh.“ „Heim auch wieder?“ Hofft er insgeheim, dass ich „nein“ sage? Viele Hasen hab ich gesehen, ein paar Rehe und viele Windräder. Dafür kaum Menschen. Ein paar Vögel hab ich aufgeschreckt, durch Feuchtgebiete bin ich gefahren, ich habe Plätze entdeckt, die ich noch nie wahrgenommen habe. Ich bin durch Maisfelder geradelt und durch den Wald, ich hab mich bergauf geplagt und beim bergab fahren die nächste Steigung vor mir gesehen. Ich hab mich verirrt, weil die Abkürzung sich als Verlängerung herausgestellt hat. Ich habe gelernt, dass man Fahrverbote ernst nehmen sollte, weil möglicherweise Bäume quer über die Straße liegen und man wieder umkehren und doch die Bergwertung nehmen muss. Die ganze Zeit hatte ich ein Lächeln auf dem Gesicht, trotz der Anstrengung. Weil die Natur hier wunderschön ist und die Aussicht übers Weinviertel so herrlich. Bis zum Schneeberg hab ich gesehen. „Wenn man‘s braucht“, sagt die Kollegin lapidar, die sich gefreut hat, dass sie heute einen Parkplatz gekriegt hat. Die Arbeit ging leicht von der Hand und die Rückfahrt gar nicht so schwer vom Fuß. Obwohl da noch ein paar mehr Steigungen waren. Der Ochsenberg heißt nicht umsonst so. Und jetzt bin ich auch ein kleines bisschen stolz auf mich. Und den Kürbis-Erdäpfelauflauf (mit Kürbis aus dem eigenen Garten), den hab ich mir verdient. „Fahrst morgen auch wieder dem Rad?“, fragt der Mann, „ersparst dir viel Sprit.“ „Irgendwann wieder.“

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